Der nachfolgende Text entstand im August 2021 im Rahmen einer Online-Frauengruppe und wurde durch verschiedene Sätze aus dem Buch „Genesis“ von Veit Lindau ausgelöst. Es handelt sich hierbei weniger um eine Rezension des Buches als vielmehr um die Sortierung meiner Gedanken und Gefühle, die durch das Buch zu diesem Zeitpunkt ausgelöst wurden.
EigenBild und FremdBild
„(…) ich weiß gar nicht, wie ich mein Anliegen hier formulieren soll. Ich weiß nur, ich MUSS das hier tun, weil es einfach viel zu wichtig ist, um es nicht zu tun.
Es geht darum, wie wir Frauen uns selbst sehen.
Es geht darum, was wir Frauen uns sagen (lassen).
Es geht darum, was wir Frauen uns glauben machen (lassen).
Ich schreibe jetzt einfach drauf los und bringe während des Schreibens Ordnung in meine Gedanken und Gefühle. Ich lade euch ein, das, was ich jetzt schreibe, mit offenem Herzen zu lesen.
Eine Enttäuschung
Wie ihr an dem Hashtag sehen könnt, hat es mit Veits Buch „Genesis“ zu tun.
Ich hatte mich wirklich wirklich auf dieses Buch gefreut. Ich liebe die Arbeiten von Andrea und Veit und folge ihnen bereits seit 2013 mal mehr mal weniger.
Als ich von „Genesis“ hörte, dachte ich: Cool, dass Veit mit diesem Thema rausgeht. Wenn nicht er, wer dann?
Nun musste ich das Buch gestern beiseite legen. Glaubt mir, ich mag mir selbst meine Enttäuschung kaum eingestehen. So viele hatten bereits begeistert von dem Buch erzählt.
Ich kann diese Begeisterung nicht teilen. Leider.
Veraltete Quellen
Die Erläuterungen über die Entstehung des Patriarchats sind völlig veraltet. Offensichtlich hat Veit während der Entstehung seines Buches noch nichts von der Patriarchatsforschung gehört. Zumindest kann ich davon in seinen Zeilen nichts erkennen. (…)
Allerdings fasziniert es mich, wie er einerseits darüber schreibt, dass wir alle in unserem Denken und in unserer Weltsicht patriarchal geprägt sind – da bin ich ganz bei ihm -, um sogleich selbst dafür den Beweis zu liefern, indem er das patriarchale Narrativ der Entstehungsgeschichte der Menschheit, der Geschichtsschreibung und unserer biologischen Veranlagung nacherzählt.
Die Quellen, auf die er sich bezieht, sind laut der Patriarchatsforscherin Gabriele Uhlmann, mit der ich im engen Kontakt stehe, total veraltet.
Das macht mich wütend. Das macht mich wütend, weil dieses Buch einfach ein weiteres Buch ist, das dem patriarchalen Narrativ noch eine Zementschicht oben drauflegt, gegen die die Patriarchatsforschung seit Jahren ankämpft, indem sie mehr und mehr Nachweise liefert, dass die Geschichte nicht nur aufgrund der patriarchalen Brille falsch geschrieben, sondern an vielen Stellen auch ganz bewusst manipuliert wurde und wird, um die patriarchale Struktur auf Biegen und Brechen aufrecht zu erhalten.
Ich tausche mich mit allem, was ich aktuell in Bezug auf das Patriarchat lese und lerne, mit Gabriele aus.
Ich MUSS das machen, weil ich viele Dinge (noch) nicht greifen und/oder einordnen kann. Sie unterstützt mich dabei, mein dogmatisiertes Denken langsam aufzubrechen und die Türen für ganz andere Wahrheiten in meinem Denken zu öffnen.
Das Patriarchat: Ursprung ist Gewalt
Die Patriarchats(kritik)forschung geht davon aus, dass die Entstehung des Patriarchats durch pure Gewalt entstanden ist. Und sie liefert dafür überzeugende Hinweise.
Ausgegangen sein soll diese Gewalt von Viehzüchtern, die aus der Erkenntnis, dass durch Sex Kinder entstehen, den falschen Schluss gezogen hatten, dass Frauen lediglich leere Gefäße sind, die erst durch den Samen des Mannes mit Leben gefüllt werden, weswegen sie sich selbst fortan als „Herren der Schöpfung“ betrachteten (meine Worte).
Damit wäre das Kernproblem des Patriarchats bereits auf den Punkt gebracht, denke ich. Die Gleichwertigkeit der Frau, ohne die dieser Samen zu gar nichts werden würde, wird komplett übergangen. (Nachtrag: Es erinnert sehr an die Art und Weise, wie Mutter Erde betrachtet und benutzt wird. Eben wie ein Nutztier.)
Es gibt archäologische Hinweise, die die Theorie stützen, dass Männer aus matrifokal* lebenden Gemeinschaften massenhaft ermordet, während die Frauen entführt, vergewaltigt und als Besitz den Männern in patrilinearen Familien untergeordnet wurden.
Hier 2 Berichte über den rätselhaften Männerschwund: https://www.scinexx.de/news/geowissen/mysterioeser-maennerschwund-in-der-steinzeit/
https://english.elpais.com/elpais/2018/10/03/inenglish/1538568010_930565.html (Dieser Text ist auf Englisch. Wer sich das nicht zutraut, kopiert den Text einfach bei DeepL in den Textübersetzer. Ich mach das auch so. 😉)
Matrifokalität: Leben ohne Gewalt
Auf S. 102 lädt Veit gedanklich zu dem Experiment ein, unsere heutigen Lebensumstände „für zehn Jahre in eine Jäger- und Sammlergemeinde“ auszutauschen. Dabei schreibt er u.a. „Werte wie Höflichkeit, Fairness und Mitgefühl werden abgeschafft. Es gilt das Recht des Stärkeren.“
Das zeigt, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nichts von Matrifokalität gehört haben kann, denn sonst hätte er gewusst, dass vor dem Konzept der patriarchalen Kleinfamilien eine ganz andere Form des Zusammenlebens üblich war – die der matrifokalen Gemeinschaften – in der es keine Gewalt gab und in der für ALLE gesorgt war. (…)
Ja, es gab und gibt Gesellschaftsformen, die gewaltfrei sind.
Für unser patriarchal geprägtes Hirn undenkbar, dem von klein auf erzählt wurde, wir hätten bereits zu Höhlenzeiten in patriarchalen Kleinfamilien gelebt und die Männer hätten – überspitzt gesagt – einem Konkurrenten mit der Keule auf den Kopf gehauen, um die Frau an den Haaren in die Höhle zu schleppen.
Was, wenn das Recht des Stärkeren in der Form, wie es uns gelehrt wurde, gar nicht existiert?
Was, wenn Darwins These der Evolutionsbiologie falsch gelehrt wurde und bis heute wird?
Was, wenn Darwins These ursprünglich ganz anders lautete?
Was, wenn Darwins ursprüngliche These im Viktorianischen Zeitalter so eine große Empörung hervorrief, dass der wesentlichste Bestandteil seiner These einfach unter den Teppich gekehrt und nur das propagiert und verbreitet wurde, was dem Patriarchat dienlich war?
Was, wenn sich mit dem unter den Teppich gekehrten Teil seiner These bis heute kaum ein:e Wissenschaftler:in beschäftigt?
Was, wenn dieses Wissen die Explosionskraft besäße, das Patriarchat zu zersprengen, vorausgesetzt, wir verstünden die Konsequenzen, die dieses Wissen für unser Zusammenleben bedeutet?
Die female choice
Darwins ursprüngliche These besagt, dass die Evolution in allererster Linie auf der Sexuellen Selektion – wie er es nannte – basiert. Du kannst es auch Weibchenwahl oder Damenwahl nennen.
In der Evolutionstheorie wird es heutzutage female choice genannt. Das bedeutet, das Weibchen wählt seinen Partner nach persönlichen Vorlieben. Das hat zunächst nichts mit Dominanz oder Stärke zu tun, sondern z.B. mit Schönheit oder Freundlichkeit.
Die Natürliche Selektion (im Sinne von „Der Stärkere gewinnt“) ist quasi nur ein Hilfsmittel für diese schönen Männchen, damit sie eine Chance haben, zu überleben. Denn wer in der Tierwelt besonders schön schillert, fällt als Beutetier eben auch schnell auf. (Das Prinzip des Stärkeren bezieht sich somit nicht auf die eigene Spezies, sondern gegenüber Fressfeinden.)
Überleben tut dann die Art, der „am ehesten die Gratwanderung zwischen Schönheit und gefährlicher Auffälligkeit gelingt“, wie Gabriele in ihrem Blogartikel über die female choice schreibt. (https://blog.gabriele-uhlmann.de/female-choice)
Die Sexuelle Selektion ist der Natürlichen Selektion vorgeschaltet. Das bedeutet: Nicht der Stärkere gewinnt, sondern der, der dem Weibchen am besten gefällt. Und ist das zwingend immer der Stärkere?
„Übertragen auf uns Menschen können wir sagen, dass auch eine Frau „schöne Männer“ mit einem freundlichen Verhalten bevorzugt. Schönheit liegt dabei im Auge der Betrachterin und ist mehr als Optik. Im Patriarchat mit seiner rudimentären Form der female choice – wenn sie überhaupt gelebt werden darf – treten andere Kriterien wie Status und Vermögen hinzu, die bereits weitgehend von den natürlichen Eigenschaften eines Mannes abgetrennt sind (Hervorhebung durch mich). In dem Moment, wo die female choice aufgrund patriarchaler Zwänge und Werte nicht mehr frei gelebt werden kann und darf, sind die Grenzen zur MENSCHENZUCHT überschritten.“ (Gabriele Uhlmann, https://blog.gabriele-uhlmann.de/female-choice)
Gabi bezieht ihre Quellen zu Darwins Evolutionslehre aus den Arbeiten von z.B. Sarah Blaffer Hrdy, Meredith M. Small, Richard O. Prum, die alle überzeugte Darwinisten sind und sich immer wieder auf ihn beziehen. (Für diejenigen, die da mehr wissen wollen.)
Was, wenn einfach A L L E S ganz anders war?
(…) was, wenn wir uns erlaubten, alles, was wir bisher über die Evolution und die Geschichte zu wissen glaubten, WIRKLICH zu hinterfragen?
Was, wenn wir uns erlaubten, uns der Möglichkeit zu öffnen, dass A L L E S ganz anders ist und war, als wir es gelernt haben? Wirklich A L L E S.
Was, wenn es eben nicht stimmt, „dass wir etwa 200 Millionen Jahre (unsere Säugetiervergangenheit mit einbezogen) von Weibchen mit Sex und Status dafür belohnt wurden, laut, erobernd und dominant zu sein.“ wie Veit es auf S. 104 schreibt.
Was, wenn wir uns erlauben, das patriarchale Narrativ mal so konsequent wie nur irgendmöglich zu enttarnen und auf die Seite zu packen?
Ich mag euch an dieser Stelle die spannende und wie ich finde sehr überzeugende These von Stephanie Gogolin vorstellen, die sagt, dass die Aggression der Männer auf einen Mangel an Oxytocin** zurückzuführen sei, der aufgrund dessen zustande kam, dass die Männer durch die Viehzucht sich von der matrifokalen Lebensweise entfernten, dadurch mit zu wenig Oxytocin versorgt wurden und verrohten.
Die Entdeckung, was Sex mit Kinderkriegen zu tun hat, tat dann ihr Übriges. Auf ihrem Blog erfährst Du mehr darüber: https://marthastochter.wordpress.com/2020/11/07/oxytocinmangel-ein-beschleuniger-des-patriarchats/
Damit komme ich zu dem Punkt, der für mich nun ausschlaggebend war, diesen Post zu schreiben.
Vergebungsarbeit
Zum Thema Vergebungsarbeit schreibt Veit auf S. 115 „Die Frau stellt sich nicht gern dem mächtigen Gift der Verachtung.“
(Damit meint er die Verachtung Männern gegenüber, für die, die das Buch noch nicht gelesen haben.)
Ich denke, in der Vergebungsarbeit von uns Frauen gegenüber Männern geht es nicht um Verachtung. Verachtung ist nur eine von vielen Ausdrucksformen der eigentlichen Herausforderung, der wir Frauen uns stellen müssen.
Ich denke, in der Vergebungsarbeit für uns Frauen geht es darum, WIRKLICH anzuerkennen, dass wir Opfer WAREN und SIND. Darin sehe ich die Befreiung.
Bevor Du nun entrüstet aufhörst zu lesen, weil sich bei dieser Aussage alles in Dir sträubt, lade ich Dich ein, meinen Ausführungen weiter zu folgen.
Es könnte sein, dass du mich gerade falsch verstehst, weil ich das, was ich sagen möchte, (noch) nicht in einem Satz auf den Punkt bringen kann. Falls das jemals in einem Satz ausgedrückt werden kann.
Der Weg der Vergebungsarbeit
Auch ich bin „nur“ auf dem Weg. Dieser Post hier hilft mir, die Dinge klar zu kriegen, die mich beschäftigen. Ich hoffe, hier die richtigen Formulierungen zu finden, um auszudrücken, was in meinem Inneren schon ziemlich klar ist. (…)
Genau wie in der Beziehung zu toxischen Eltern(teilen) sehe ich für uns Frauen in der Vergebungsarbeit in Bezug auf „die Männer“ unsere Hauptaufgabe darin, uns selbst als Opfer anzunehmen und anzuerkennen.
Ich sehe für mich keinen Unterschied in der Vergebungsarbeit gegenüber meiner Mutter oder „den Männern“. Beides bezieht die persönliche und die strukturelle Ebene mit ein.
Persönliche Heilung im Kontext größerer Strukturen
Bei meiner Mutter ging es um meine persönliche Heilung, in der mir das Verständnis der bestehenden Strukturen, die meine Mutter und ihre Mutter usw. geprägt hatten, dabei half, meinen persönlichen Konflikt eingebettet in einem größeren Kontext zu erkennen.
Das ermöglichte mir einerseits, mir zu erlauben, mich als Opfer anzunehmen und anzuerkennen und andererseits eine stimmige und nachvollziehbare Erklärung zu erhalten, weshalb die Dinge so gelaufen sind wie sie gelaufen sind.
Mein Prozess wurde dadurch weniger persönlich, wodurch es mir gelang, wirklich ins Mitgefühl zu kommen. Für mich, meine Mutter, meine Großmutter usw.
Bei der Vergebungsarbeit mit „den Männern“ geht es ebenfalls um unsere persönliche Heilung, in der uns das Verständnis der bestehenden Strukturen, die die Männer und ihre Eltern und deren Eltern usw. geprägt hatten, dabei hilft, unseren persönlichen Konflikt eingebettet in einem größeren Kontext zu erkennen.
Paradoxie des Lebens
Das ermöglicht uns einerseits, uns zu erlauben, uns als Opfer anzunehmen und anzuerkennen und andererseits eine stimmige und nachvollziehbare Erklärung zu erhalten, weshalb die Dinge so laufen wie sie laufen.
Auch hier wird unser Prozess weniger persönlich, was uns dabei unterstützt, ins Mitgefühl zu kommen. Mit uns, „unserem“ Mann, „den Männern“ und allen vor uns.
Interessanterweise vollzieht sich durch diesen Prozess der „Entpersonalisierung“ eine Heilung und ein Frieden auf einer sehr tiefen und sehr persönlichen Ebene. Ich liebe die Paradoxien des Lebens. 🙂
In dem Kapitel „Verabschiede das Opfer in dir“ auf S. 140 schreibt Veit, dass sich die Königin in mir „niemals zeigen“ wird, „wenn du darauf bestehst, das Opfer zu sein.“
Weiter auf S.141: „Ich glaube, dass die Haltung des Opfers so tief im Unterbewusstsein vieler Frauen verankert ist, dass es zur Grundhaltung ihres Lebens wurde.“
Rolle und Status in der patriarchalen Gesellschaft
Ich verstehe absolut, was er damit meint.
Und fühle ich mich gerufen, hier näher darauf einzugehen:
Das Wort Opfer beinhaltet 2 Ebenen:
- Die ROLLE des Opfers. Ja, aus der können wir uns Kraft unserer geistigen Haltung befreien. Da bin ich ganz bei ihm.
Neben unserem Selbstbild, unserer ROLLE, als Opfer gibt es allerdings noch etwas, das wir nicht unter den Teppich kehren können: - Das ist unser STATUS als Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft.
Unser STATUS in dieser Gesellschaft ist der des Opfers.
Autsch!
Das können wir drehen und wenden und so viel Königin in uns freisetzen, wie wir wollen.
Das patriarchale System ist ein Herrschersystem. Ein Herrschersystem kann nur durch Gewalt aufrechterhalten werden. In einem Herrschersystem MUSS es Opfer geben, sonst gibt es nichts, was beherrscht werden kann und das System kann nicht bestehen bleiben.
Unsere Anerkennung als Opfer
Diese Opfer sind wir. Ob uns das gefällt oder nicht.
Mich empört dieser 2. Satz über unser „Haltung“ nicht. (…) Ich verstehe die Intention und in Bezug auf unsere ROLLE bin ich mit Veit absolut d’accord.
Gleichzeitig fühle ich mich durch diesen Satz nicht erkannt, nicht gesehen und darin bestätigt, dass mein Gegenüber nicht die leiseste Ahnung hat, was es bedeutet, in dieser Gesellschaft eine Frau zu sein.
Nicht, dass ich es wirklich pauschal greifen könnte, was es bedeutet, eine Frau in dieser Gesellschaft zu sein. Aktuell würde ich es so formulieren:
Eine Frau in dieser Gesellschaft zu sein bedeutet, den STATUS Opfer inne zu haben, diesen aber nicht anerkennen zu dürfen.
Geschweige denn, das wir das wollten.
Das Verleugnen des Status als Opfer
Denn wenn ich eines erfahren habe in meiner Vergebung gegenüber meiner Mutter, dann ist das die Tatsache, dass ich mich selbst niemals als Opfer anerkennen wollte, weil ich damit die Realität hätte wahr werden lassen, die ich so verzweifelt suchte, zu leugnen.
Was genau versuchte ich zu leugnen? Dass meine Mutter eine Täterin war und ich ohnmächtiges, dem Leben ausgeliefertes Opfer.
Vergebungsarbeit für uns Frauen
Übertrage ich das auf unsere Vergebungsarbeit in Bezug auf die Männer, würde das bedeuten:
Genau DAS gilt es für uns Frauen zuallererst anzuerkennen – den STATUS Opfer.
So, wie es für Männer gilt, den STATUS Täter anzuerkennen.
Bei beiden ist es unerheblich, ob uns dieser Status gefällt, wir uns dementsprechend fühlen oder ob wir das wollen.
Dieser Status ist uns jeweils durch das patriarchale System gegeben. Ob wir wollen oder nicht.
Keiner von uns kann sich dem vollständig entziehen, solange dieses System bestehen bleibt.
Befreiung von der Rolle des Opfers
Wir Frauen können uns in unserer geistigen Haltung erst dann wirklich aus der ROLLE des Opfers befreien, wenn wir vollständig anerkannt haben, dass wir auf struktureller Ebene Opfer SIND. Das unser STATUS Opfer IST.
Erst aus dieser Befreiung heraus können wir uns auch konstruktiv mit unserer Mittäterinnenschaft auseinandersetzen und diese anerkennen.
Täterin zu werden ist eine Überlebensstrategie in einem System, in dem sich frau ständig überlegen muss, mit welcher Strategie sie am besten durchkommt.
Das klingt sehr viel überlegter als es ist. Ich denke, die wenigsten von uns (wenn überhaupt jemand) durchschauen das System, in das wir hineingeboren wurden.
Nachvollziehen, verstehen und vergeben
Können wir von diesem Punkt kommend unsere Täterinnenschaft nachvollziehen, verstehen und uns selbst vergeben, leiten wir die ersten Schritte ein, die uns den Weg raus aus unserem PERSÖNLICHEN Trauma-System weisen.
Am STATUS Opfer (oder für die Männer Täter) ändert das nichts, solange dieses System weiterbesteht.
Uns aus der ROLLE des Opfers zu befreien kann den Weg dazu ebnen, auch den STATUS zu verändern.
Dazu mag ich euch die Worte von Gabriele Uhlmann mitgeben, die mir dazu Folgendes schrieb und mich in meinen Gedanken bestätigte:
„Wenn wir erkennen, warum wir Opfer sind, statt einfach nur zu lamentieren, dann sind wir schon einen Schritt weiter. Oft wissen wir ja nicht einmal, dass wir Opfer sind. Das zu erkennen, ist im Patriarchat schon unerwünscht, daher auch das Opferbashing. Opfer, die erkennen, dass sie Opfer geworden sind, können dem Patriarchat gefährlich werden. Die ersten Feministinnen mussten das ja auch erstmal aussprechen, um anderen Frauen das Bewusstsein für ihre Lage zu öffnen. Erst so wurde der Feminismus zur Massenbewegung. Und es ging dabei von Beginn um das Warum. Wenn wir das Warum erkannt haben, können wir beginnen nach Lösungen zu suchen. Und nur so können wir auch unsere Mittäterschaft erkennen.
aber das weißt Du ja alles längst…es geht mir darum, das Wort Rolle nicht mehr für weibliche Lebenswelten zu verwenden.“
Systemische Einsichten und Beziehungen
Spüre ich in unser System rein und schaue mir die Art der Beziehungen an, die wir in dieser Gesellschaft leben und wie wir sie leben, fühlt sich für mich die Entführungstheorie stimmig an.
Ich denke, einen echten Ansatz und viele Erkenntnisse könnten wir gewinnen, wenn wir uns die Dynamiken und Verzahnungen des Stockholm-Syndroms mit denen des Lima-Syndroms anschauen und erforschen. (Beim Stockholm-Syndrom entwickelt das Opfer Gefühle für den Entführer. Beim Lima-Syndrom der Entführer Gefühle für sein Opfer.)
Wir dürfen erspüren und erforschen, inwieweit wir diese Dynamiken in unserem Beziehungsalltag wiedererkennen. Ich befürchte, mehr als uns lieb ist.
Traumawissen und Generationenübertragung
Wir dürfen uns aufklären, wie wir Trauma-Dynamiken an die nächste Generation weitergeben und wie wir das vermeiden können. Dieser Bereich ist mittlerweile so wahnsinnig gut erforscht und für jede:n Laien in verständlicher Literatur zugänglich.
Es erschreckt mich immer wieder, wie wenig verbreitet dieses Wissen immer noch ist.
Ich werde „Genesis“ erstmal zur Seite legen. Es geht für mich an unserer Kernherausforderung vorbei. Auf Basis dieser Geschichtsschreibung und Weltsicht kann ich für uns keinen echten Lösungsansatz erkennen.
Wie sagte Einstein so schön:
„Probleme löst man nicht mit derselben Denkweise, durch die sie entstanden sind.“
Das Ende für heute
Für mich fühlt sich das Buch so an, als würden wir in einer langen problematischen Beziehung uns wieder nur auf die Brände konzentrieren anstatt uns radikal anzusehen, was diese Brände überhaupt verursacht.
Damit bin ich für heute am Ende.
Das Schreiben hat mir gut getan und mir geholfen, einiges klarer zu kriegen, wenn auch noch nicht alles.
Hast Du, Frau, bis hierher gelesen, danke ich Dir sehr für das Folgen meiner Gedanken. (Ich hoffe, meine Gedanken SIND nachvollziehbar).
Diese sind an dieser Stelle lange nicht abgeschlossen geschweige denn in Stein gemeißelt. Sie sind lediglich eine Momentaufnahme meines aktuellen Weges.
Ich lade Dich ein, Deine Gedanken mit einzubringen, wenn Du magst. Es würde mich sehr freuen.
Ich wünsche uns allen, mich eingeschlossen, viel viel mehr Achtsamkeit in der Erzählung von Narrativen. Ich wünsche mir, dass wir WIRKLICH unseren Geist dafür öffnen, dass diese Welt doch ganz anders ist, als wir in unserer begrenzten (patriarchalen) Vorstellung derzeit auch nur erahnen können.
Letztendlich spüre ich große Dankbarkeit und Achtung, dass Veit diesen Schritt gewagt hat. Sein Buch hat etwas in mir ausgelöst, dem ich heute nachgegangen bin und dem ich weiter nachgehen werde. Dafür danke ich ihm! (…)
Die Ergebnisse (der Patriarchatsforschung) haben es verdient, viel viel mehr an die Öffentlichkeit zu gelangen und eine viel breitere Masse zu erreichen, als das aktuell der Fall zu sein scheint.
Vor allem viel zu wenig Frauen wissen von der Existenz der Patriarchatsforschung. Es wird Zeit, dass sich das ändert. Es liegen bereits jetzt schon so viele Antworten auf Fragen für uns dort bereit, von denen wir noch nicht mal wussten, dass wir sie haben. Es ist Zeit!“
Navigieren durch den Wandel
Dieser Text ist für mich nach wie vor aktuell. Weiterhin lade ich mich und Dich dazu ein, immer zu hinterfragen und hineinzuspüren, was sich für Dich stimmig anfühlt.
Bei welcher Antwort Du Dich entspannst und bei welcher Du Dishamonien in Dir wahrnehmen kannst, Störfaktoren.
Wir befinden uns an einem sehr interessanten Punkt der menschlichen Geschichte. Die alte Struktur von Tradition, Konfession und Position laut Amt zerbröckelt zusehens, was uns mehr und mehr auf uns selbst zurückwirft.
Um hier Halt und Orientierung zu finden, dürfen wir tief in uns selbst blicken. Hier finden wir die Antworten und die Sicherheiten, die es uns möglich machen, uns durch diese Umbruchsphase hindurchzunavigieren.
Wünschst Du Dir auf diesem Abenteuer kraftvolle Unterstützung und wohlwollende Begleitung, buche Dir gern ein unverbindliches und kostenfreies mutterseelenklar-Gespräch mit mir und lass uns sehen, wie ich Dir weiterhelfen kann.
Weiterhin lade ich Dich ein, Deine Gedanken hier unter dem Artikel in den Kommentaren zu teilen und Dich mit mir darüber auszutauschen, was meine Gedanken in Dir ausgelöst haben.
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In diesem Sinne wünsche ich Dir alles Gute für Deinen Weg.
TAKE YOUR SPACE! 🕊️
Herzlichst
Jana
*matrifokal: „Matrifokalität ist unser angeborenes Sozialverhalten und keine Gesellschaftsform!
Der Begriff bezeichnet die natürliche Lebensweise in der matrilokalen und matrilinearen Sippe als lebenslangen Schutzraum um alle Mütter und deren weibliche und männliche Kinder. Während dabei Großmütter, Mütter und Töchter ein Kontinuum bilden, leben die Männer als Brüder, Cousins und Onkel. Unter Matrifokalität ist die Vaterschaft natürlicherweise unbekannt.“ (Gabriele Uhlmann)
** Oxytocin wird auch als Bindungs-, Lust oder Kuschelhormon bezeichnet.
Das hat mich sehr beeindruckt und viel Klarheit gebracht, v.a. auch der Text von Gabriele Uhlmann. Habe auch „Genesis“ genau an dieser Stell aufgegeben zu lesen, ohne genau den Grund zu erkennen- halt gefühlsmäßig.
Alle Querverweise von Dir sind sooo interessant!!!
Danke Dir sehr
Gabriele Schütz
Herzlichen Dank für Deine Rückmeldung, liebe Gabriele. Es freut mich, dass Dir der Text Klarheit gebracht hat. Und wie spannend, dass Du an der selben Stelle aufgehört hast zu lesen.
ein wunderbarer und treffender Artikel, liebe Jana!
und Danke, dass du meinen Blog verlinkt hast
Stephanie
Danke Dir, liebe Stephanie, für Deine Wertschätzung, Dein Wissen und die Inspiration. ❤️